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Beiträge zu Theaterspielstile

Melodramatischer Spielstil

Die großen Gefühle - melodramatisch spielen

An alles glauben was man tut
In den folgenden Ausführungen geht es mir weniger um die Beschreibung des Genre Melodrama, als vielmehr darum aufzuzeigen wie man seine Gesetze nutzen kann, um überzeugend auch ernste Themen auf der Bühne zu transportieren, ohne sich dabei im Pathos oder in unfreiwilliger Komik zu verlieren. Einmal mehr halte ich mich an die Lehre des französischen Theaterlehrers Jaques Lecoq (1924-1999) und seiner Arbeit mit dem Melodrama (griech. melos: Klang). Dieser entdeckte das Melodrama für seine Schule durch die Frage: „Wenn jemand etwas sagt, woran er glaubt, warum akzeptieren es die einen, während die andere darüber spotten?“ So forderte er seine Schüler in einer Übung auf „an alles zu glauben“ und damit das Publikum zu überzeugen. Hier war der erste Schritt zu den großen menschlichen Gefühlen und seiner Verkörperung getan. Das Ziel im Melodrama ist ein so überzeugendes Spiel zu erreichen, das die Zuschauer in Tränen zerfließen. Deshalb sind seine Themen sehr menschlich und handeln vom Kampf Gut gegen Böse, sowie von Moral, Opfer, Verrat, Unschuld, nichterfüllter Liebe usw.


Der Rhythmus der großen Gefühle
Der melodramatische Spielstil, wie er an der Lecoq-Schule in Paris praktiziert und gelehrt wird, orientiert sich an Bewegungsrichtung und Rhythmus. Zumindest eröffnet diese Orientierung eine mehr körperliche als psychologische Herangehensweise. Im Folgenden einige leicht umsetzbare Übungen, die auf den melodramatischen Rhythmus und seiner Bewegungsrichtung vorbereiten:

  • ein Spieler rennt eine kleine Strecke, springt auf einen Stuhl, stoppt dort, hält eine kleine Weile inne und läuft dann mit extrem verlangsamten Tempo (keine Zeitlupe) vom Stuhl und geht weiter gerade aus; anschließend umgekehrtes Tempo
  • zwei Spieler laufen oder rennen aufeinander zu, bleiben voreinander stehen, dann rennt einer von beiden abrupt weg, der andere sieht ihm nach
  • ein Spieler rennt, stoppt, ruft einen Namen und rennt dann mit voller Kraft weiter
  • auf ein fernes Ziel hin gehen, dabei einen leichten Gang haben, irgendwann anhalten und dabei den Körper diagonal nach vorn beugen; anschließend Drehung um die eigene Achse, so dass der Körper nun diagonal nach hinten neigt

Diese Übungen können mit verschiedenen Tempos erforscht werden. Wichtig ist darauf zu achten, was welcher Tempowechsel beim Zuschauer bewirkt. Bei den Spielern wird durch diese Übungen das Gespür für das richtige Timing trainiert. Für Lecoq ist das melodramatische Spiel durch diagonale Bewegungen charakterisiert, da es beim Melodrama um irdische Leiden, Sehnsucht und Glück geht, die den Mensch nach vorn ziehen oder ihn zurückhalten. Diesen nicht ganz eindeutigen Zusammenhang kann jede Gruppe durch eigene Übung und Erfahrung bestätigen oder widerlegen. Kleiner Hinweis: die Übungen mit weitgehend neutralem Gesichtsausdruck durchführen.

Aufbruch und Rückkehr
Im Melodrama besteht immer ein direkter Bezug zur Zeit. Daher bieten sich die Themen Aufbruch und Rückkehr für Improvisationsübungen zum Erspielen bewegender Momente sehr gut an. Im Folgenden einige von Lecoq entlehnte Beispiele:

  • Ein Mann erhält die Nachricht, dass er in den Krieg muß. Er nimmt Abschied von seiner Frau. Niemand weiß ober jemals wieder zurückkehren wird. Wenn die Frau allein ist, summt sie ihren Abschiedsschmerz.
  • Ein Spieler nimmt Abschied von Freunden und Verwandten, da er die Heimat verlassen will. Alle haben sich zu einer Abschiedsfeier versammelt. Der Spieler geht und kehrt plötzlich wieder zurück. Wie reagiert die Gruppe?
  • Eine Frau wird von ihrem Mann mit einem Geliebten entdeckt. Der Ehemann versucht seine Frau zurückzugewinnen (oder in umgekehrter Rollenverteilung).
  • In einer bei der Arbeit singenden Gruppe sitzt ein Kranker. Dieser scheint zu genesen, da er anfängt, mitzusingen und dabei zu tanzen. Auf dem Höhepunkt der allgemeinen Freude bricht er tot zusammen.
  • Nach etlichen Kriegsjahren kehrt ein Soldat in seine Heimat zurück. Er klopft an sein Haus und es öffnet ihm seine Frau. Im Haus sind noch zwei Kinder, die er nicht kennt und ein anderer Mann. Schließlich geht der Soldat wieder fort, da die Frau glücklich zu sein scheint. Später erfährt er, dass eines der Kinder von ihm ist.

Der Blick in die Stille
Diese Szenen können beliebig variiert werden. Wichtig ist es, dass die Spieler sich auf die großen Gefühle einlassen und an das glauben was sie tun. Es daher ratsam die Szenen sehr langsam und mit viel Ruhe zu spielen. So können die Spieler die Subtilität des Spiels zwischen Überraschung, Rhythmus und Reaktion besser wahrnehmen, und so erspüren wo der richtige Zeitpunkt für die Entdeckung und für die Überraschung liegt.
Denn die wirklich bewegenden, zeitlosen Momente liegen in der Stille, im Schweigen. Wesentliches Spielmittel sind hier die Augen und deren Blicke.

Alter Gefühlskitsch
Der melodramatische Spielstil birgt viele in den Klischees verborgenen Fallen in sich. Nicht umsonst ist dieses Genre in Verruf geraten. Doch nur, wenn man sich ausschließlich auf leere Formen im Spiel beschränkt wie Gesten, die nicht von innen kommen und die Gesetze von Rhythmus und Zeit ignoriert gerät das Spiel zum alten Gefühlskitsch. Dabei ist das Melodrama keine alte Form. Es behandelt die Entdeckung und Betonung sehr spezifischer Aspekte der menschlichen Natur. Es spielt sich immer dann ab, wenn wir auf jemanden warten,; oder wir sehnsüchtig vorm Telefon hocken oder wir bemerken das wir etwas wichtiges verloren haben.



Groteskes Theater - Bouffonen

Groteskes Theater

Begriffliches
Das Wort Groteske (ital.: „grottesco zu grotta“, „Grotte“) bezeichnet laut Wikipedia eine übertriebene Erzählung oder Drama, was aufgrund seiner verzerrten Darstellung der Wirklichkeit Komik erzeugt. Im Theater sind es vorwiegend die Figuren die durch ihre Körperlichkeit grotesk (komisch, bizarr, fantastisch) sind und ebenso die Wirklichkeit auf komische Weise verzerren. Reale Begebenheiten werden hier maßlos überhöht und der Lächerlichkeit preisgegeben.
In seiner „Geschichte des Grotesk-Komischen“ beschreibt K.F. Flögel komisch-groteske Verfahren, wie sie seit Menschheitsgedenken bei den verschiedensten Nationen praktiziert wurden. Ihre rebellischen Kräfte tobten vor Jahrhunderten im Karneval und seinen lärmenden Maskenumzügen. Groteskes ist aus den rituellen Handlungen und Spielen entstanden und reicht an die Wurzeln des Theaters zurück.

Geschichtliches
Das Eselsfest beispielsweise war bei verschiedenen Völkern in ähnlicher Praktik zu finden. Hier suchte man ein schönes Mädchen und setzte es auf einen prunkvoll geschmückten Esel und gab ihr dazu einen kleinen Knaben in die Arme. Dieses Fest sollte an die Flucht der Jungfrau Maria nach Ägypten erinnern. In Begleitung hoher Adliger und des Volkes wurde es in die Hauptkirche geleitet. Dort stellte man es neben den Altar. Die Messe wurde nun mit großem Pomp gelesen, begleitet mit lächerlichen Refrains. Am Ende dieser Messe iate der Priester dreimal, wohingegen das Volk dreimal zurück iate. Zuallerletzt wurde dem Esel zur Ehre noch ein Lied mit reichlich unsinnigen Versen gesungen.

Bouffoneskes
Kennzeichnend für Groteskes Theater sind die fantastischen Figuren die mit übergroßen Bäuchen, langen Nasen, mit Buckeln, verstümmelten Gliedmaßen, animalische Gliedmaßen wie Flügel, Schwänze u.s.w. und allerhand seltsamen Bewegungen soziale Gegebenheiten verunstalten. Die Figur der Bouffons (auch Buffonen geschrieben) geben Aufschluß über die Spielweise des Grotesken. In fast allen Kulturen finden sich Bouffons als Urwesen göttlich-tierischer Natur, die die heiligen Zeremonien konterkarieren und parodieren. Sie verkörpern die Figur des Antihelden, des Letzten der gesellschaftlichen Skala. Im Gegensatz zum naiven Clown handeln die Bouffons bewußt, sakrileg und sind von ganzem Herzen unverschämt. Sie sind die geborenen Könige der „verkehrten Welt“. Die Führung legen sie in die Hände ihres Dümmsten.

Archetypisches
Der Archetyp des Bouffonen und hierzu lassen sich auch der Narr, der Satyr, der Gnom, der Zwerg und der Fool zählen, repräsentiert menschliche Eigenschaften und Bedürfnisse. Allen ist gemeinsam, dass sie die Welt der Normalen parodieren, marginal sind und stets in Verbindung zu einer andersartigen, fantastischen Welt stehen.
In seiner höchsten Blüte zeigte sich das Groteske Theater in Form der Commedia dell´ arte wider.
Seine Figuren attackierten mit skurillen Gesängen, wilden Tänzen und obszönen Gesten die Wohlanständigkeit der Heuchler und Mächtigen und wurden so zum Ausdruck der Wut, Angst und Verzweiflung des einfachen Volkes. Denn hinter dem gespielten Wahnsinn und der körperlichen Deformation verbirgt sich ein klares Bewußtsein und die Möglichkeit, Wahrheiten so deutlich auszusprechen, wie es sonst niemanden erlaubt ist. (Genau hierin liegt eine der großen Chancen des Amateurtheaters.) Kein Wunder also, dass es seitens der Herrschenden stets Delikte gab die Praktiken des Grotesken Theaters zu verbieten oder wenigsten zu kanalisieren.

Praktisches
- Eine Übung sich den Grotesken zu nähern kann folgende sein: Die Situation ist die einer Schulklasse. Jeder einzelne Spieler stellt sich nacheinander neben den „Lehrer“ und versucht ihn zu karikieren.
- Eine andere Möglichkeit wäre sich einen Menschen aus dem täglichen Leben zu suchen, gegen den man eine innere Abwehr spürt und diese Person, ohne ihre Identität preiszugeben, vor der Gruppe parodiert. Wichtig hierbei ist es vom rein Sprachlichen zur übersteigerten parodistischen Handlung zu kommen und darüber hinaus Wege zu finden mit den Parodien die Zuschauer zu berühren.
- Eine weitere Übung wäre eine Sache zum Beispiel einen gelungenen Auftritt „totzuloben“.

Körperliches
- Die Arbeit am anderen Körper ist wesentlich für das Groteske Theater. Eine Möglichkeit ist sich Beulen mit Gegenständen, mittelgroßen Bällen, Kissen oder sonstwas zu stopfen. Diese Ausstülpungen kann man sich dann als schwere Gewichte vorstellen, die den Körper entsprechend nach unten ziehen. Hieraus ergibt sich eine groteske Körperhaltung. In dieser Haltung vorwärts gehen und dazu eine Stimme finden.
- Eine andere Variante ist sich diese Beulen als Luftblasen vorzustellen, die den Körper nach oben ziehen. Auch hier wieder eine Stimme dazu finden.
- Den Körper so breit, dann so schmal wie möglich machen. Damit laufen, sprechen, sitzen, liegen usw.
- Verschiedene körperliche Deformierungen ohne Gewichte ausprobieren und feststellen in welcher Deformierung sich der Spieler am wohlsten fühlt. Dazu ein entsprechendes Kostüm entwerfen.
- Die verschieden gearteten Figuren in verschiedene Gruppierungen wie Diener, Herrscher, Dämon/Hexe und Heiliger einteilen.

Ganz normale Theatertexte, Tragödien oder auch Gedichte lassen sich, sind die grotesken Figuren erarbeitet, in ihrer eigenen, parodistischen Version spielen. Es gibt eigentlich keinen Stoff vor dem sich das Groteske verschließt. Viel Spaß beim Ausprobieren.


Literatur:
Karl Friedrich Flögel: Geschichte des Grotesk-Komischen, Dortmund, 1978
Maurice Lever: Zepter und Schellenkappe - Zur Geschichte des Hofnarren, Fischer Verlag, 1992
Gerda Baumbach: Seitänzer und Betrüger? - Parodie und kein Ende; Francke Verlag, 1995
Rolf Johannsmeier: Spielmann, Schalk und Scharlatan; Rowohlt Verlag; 1984



Erzählende Mime

Erzählende Mime

Fahrende Spielleute
Als die fahrenden Spielleute im Mittelalter durchs Land zogen und auf Marktplätzen und Jahrmärkten von den Unzulänglichkeiten der Obrigkeit erzählten, spielten sie Szenarien in denen ganze Armeen, Landschaften und etliche Figuren vorkamen. Dabei zeigten sie Verfolgungsjagden, Liebesspiele und dergleichen. All das spielten sie ganz allein mit ihrem bloßen Körper in einem Wechselspiel von mimischer Darstellung und gesprochener Sprache.
Zwischen den Szenen traten sie immer wieder mit Erklärungen und Kommentaren als Erzähler auf, um dann blitzschnell zurück in die Szene zu schlüpfen. Diese Spielweise wird in der berühmten internationalen Theaterschule J. Lecoq in Paris erzählende Mime genannt. Bekannt wurde sie durch Dario Fo, der mit seinem Solostück „Mysterium Buffo“ alte Spielmannstexte ausgrub und die Spielweise der umherziehenden Gaukler rekonstruierte.
Durch Kino, Videoclips, Fernsehen und Werbung und der damit veränderten Aufnahmefähigkeit des Menschen hat die ´erzählende Mime´ reichlich an Tempo gewonnen. Seine Mittel sind, angelehnt an Film und Comic: Zooms, das Springen von Bild zu Bild, Raum- und Zeitsprünge, Schnitte, Zeitlupen oder Beschleunigungen in schnellem Vor- oder Rücklauf.

Akteure als Bühnenbild
Alle Körperteile können für bestimmte Bilder benutzt werden. So können die Rücken der Akteure eine Landschaft darstellen, über die ein mit den Händen gezeichneter Zug fährt, der wiederum durch ein Pfeifen und Tuckern verdeutlicht wird. Mit einer kurzen Drehung kann die Perspektive gewechselt werden, und man befindet sich im Bistro des Zuges. Hier können einige Akteure als Sitzgelegenheit dienen, andere als Gäste im Bistro. In der Gruppe werden phasenweise von den Akteuren Figuren gespielt und dann wieder Gegenstände oder Atmosphären. Die düstere Atmosphäre im Wald bei „Hänsel und Gretel“ läßt sich durch Nachtgeräusche erzeugen. Die Akteure können die Bäume spielen aus denen ein Uhu auffliegt, dargestellt mit den Händen. Kleine Details wie einzelne Regentropfen lassen sich mit den Fingern zeichnen, oder kleine Tiere mit den Füßen. Ein Perspektivwechsel lässt sich durch eine blitzartige Haltungsänderung erreichen, bei der die Akteure mit ihren Armen die Bäume darstellen an denen Hänsel und Gretel mit den Händen angedeutet vorbei laufen, während einer der Akteure das Geschehen erzählt. Wichtig ist hierbei die gezeichneten Dinge nicht bloß anzudeuten - auch dann wenn sie nur für kurze Momente auftauchen - sondern ihren inneren Rhythmus und ihr inneres Leben genau zu treffen, denn nur so wird das Gespielte lebendig und für den Zuschauer sichtbar.

Erzählend-mimische Übungen
Die erzählende Mime erfordert viel handwerklich-technisches Geschick, das sich allerdings mit viel Beobachtung und Training und natürlich eine große Portion Geduld aneignen lässt. Hier einige vorbereitende Übungen:
in der Gruppe oder allein mit dem ganzen Körper Fahrzeuge schaffen wie Auto, Traktor, Fahrrad usw.; dann diese Fahrzeuge nur mit den Händen spielen und dazu die entsprechenden Geräusche machen;
Haltungswechsel in Zeitlupe und Zeitraffer: in eine Figur z.B. Hänsel schlüpfen, dann schnelle Verwandlung in einen Vogel, dann langsame Verwandlung in ein Schaf;
Veränderung der Perspektive: der Akteur sitzt am Steuer eines Flugzeuges, wird dann mit ausgestreckten Armen selbst zum Flugzeug und stellt es dann nur noch mit den Händen dar;
Übergabe von Objekten und Personen: z.B. wechseln sich mehrere Akteure ab mit der Hand als Flugzeug oder dem Spielen einer Person, ohne dass sich dabei deren Wesen ändert;
auf einer Bühnenhälfte wird eine ausgedachte oder improvisierte Geschichte erzählt und die auf der anderen in Miniaturformat mit den Händen gespielt wird;
Spiel mit drei realen Objekten (z.B. Buch, Glocke, Flasche) und damit eine Geschichte erzählen, die Objekte dabei entsprechend verfremdet benutzen, z.B. die Flasche als Person usw.
Wer das Prinzip dieser Spielweise erkannt hat, kann hier noch etliche Übungen dazu erfinden.

Mimisch-epische Hinweise
Bei der Herangehensweise an ein Stück ist u.a. zu überlegen:
Welche Räume/Landschaften kommen in der Geschichte vor? (z.B. bei „Hänsel und Gretel“: Holzhütte der Eltern, Feldweg, Wald, Hexenhaus, Ofen, Käfig, See)
Welche Figuren spielen mit? (Eltern, Hänsel, Gretel, Hexe, Vögel, Schwan, dazu jeweils entsprechende Stimme, Haltung, Eigenschaften u.a. finden)
Welche Elemente der Landschaft könnte man hervorheben? (z.B. das Knacken der Bäume, ein Blatt das von einem Baum fällt)
Welche Objekte/Requisiten spielen eine Rolle? (Brotkrümel, Steine, Pfefferkuchen)
Für diese Figuren, Elemente, Objekte usw. müssen dann stilisierte, wieder erkennbare Ausdrücke gefunden werden, damit Perspektivwechsel und Zooms möglich werden. Vor allem in ihrem Rhythmus müssen die Figuren und Objekte klar und deutlich sein und die Wechsel und Brüche eindeutig markiert sein.
Mime und Sprache stehen gleichberechtigt nebeneinander und ergänzen sich gegenseitig. Die Erzählparts sollten dabei nicht den Charakter von Untertiteln haben, das heißt dass die Aktionen das Gesagte nicht nur verdoppeln sollten. Beides, Erzählung und Handlung können parallel oder getrennt voneinander ablaufen.

Mit dieser sehr gestischen Spielweise - die erhebliche Parallelen zu Brechts Epischem Theater hat - lassen sich ganze Welten mit wenig oder gar keinen Mitteln auf kleinsten Räumen schaffen. Das ist gerade für das Amateurtheater ein klarer Vorteil. Aber diese Spielweise birgt auch die Gefahr dass Inhalte zugunsten der Mittel seiner Umsetzung in den Hintergrund geraten.


Literatur:
Jacques Lecoq: Der poetische Körper - Eine Lehre vom Theaterschaffen; Alexander Verlag
Dario Fo: Kleines Handbuch des Schauspielers; Verlag der Autoren
Thomas Köller: Die Schauspielpädagogik Jacques Lecoqs; Peter Lang Verlag
Werner Müller: Spielmann, Clown, Theatermacher; Pfeiffer Verlag


Clownerie

Clownerie

Der schauspielerische Nullpunkt
Der Clown ist der „totale Schauspieler“ wie Jango Edwards meint. Nicht etwa weil er häufig auch als Akrobat und Artist auftritt, sondern weil sein Spiel an einem Punkt anfängt, aus dem alles Spiel entsteht, an einer Zone die noch vor dem eigentlichen Spiel beginnt, dem schauspielerischen Nullpunkt.


Die eigene Lächerlichkeit
Was das meint, versuche ich mit folgendem Beispiel eines Theaterlehrers zu verdeutlichen:
Ich forderte die Schüler eines Tages auf, sich im Kreis aufzustellen und uns zum Lachen zu bringen. Einer nach dem anderen versuchte sich mit dummen Späßen, Purzelbäumen, Wortspielereien, einer phantasievoller als der andere, vergebens! Das Ergebnis war katastrophal. Uns saß der Kloß im Hals und die Angst im Plexus, es begann tragisch zu werden. Als sie sich ihres Scheiterns bewußt wurden, brachen die Schüler die Improvisation ab und setzten sich wieder, enttäuscht, verwirrt, betreten. Wie wir sie da in ihrer ganzen Schwachheit sitzen sahen, fingen alle an zu lachen, nicht über eine Figur, die sie darstellten, sondern über die bloßgestellte Person selbst.“ (Lecoq)
Als Clown aufzutreten bedeutet wesentlich mehr als sich eine rote Nase aufzusetzen. Die Komik eines Clowns besteht nicht aus einer Aneinanderreihung von Gags, Witzen oder Akrobatiknummern, sondern im Zeigen der eigenen Lächerlichkeit.
Daher ist die Clownfigur keine vorgefertigte Rolle, in die man schlüpfen kann, sondern ein elementarer Wesenszug, den der Spieler auf der Bühne bewußt nutzt.
Je mehr sich der Akteur von seinen eigenen Schwächen überraschen läßt und je weniger er dabei versucht eine Figur zu spielen, desto stärker zeigt sich sein Clown.

Prinzipien der Clownerie
Wir alle sind Clowns, wir alle halten uns für schön, intelligent und stark, während doch jeder von uns seine Schwächen und Lächerlichkeiten hat, die, wenn sie zum Ausdruck kommen, zum Lachen sind.“ (Lecoq)
Das ist etwas plakativ formuliert, verdeutlicht aber, dass Clownerie keine Methode oder Technik ist, sondern Prinzipien unterliegt, die aus sich selbst wachsen. Das sind das Scheitern, die Naivität, das Spiel aus dem Bauch heraus, der Verzicht auf Rollendarstellung, der direkte Publikumskontakt; der aus dem Spiel entstehende Perspektivwechsel, die emotionale Echtheit und deren Übertreibung. Denn „Clown-Sein heißt, stets auf der Suche nach dem Ich, nach dem kleinen Clown in uns zu sein. Ihn gilt es an die Hand zu nehmen und sich von ihm führen zu lassen. Nur dann wird es möglich sein, wieder wie ein Kind hinter einem bunten Ball herzulaufen oder zu weinen, weil der Luftballon zerplatzt ist.“ (Werner Müller)


Die Kunst der Unfähigkeit
Eigentlich gibt es nichts, was der Clown richtig kann und trotzdem macht er alles, weil er gar nicht einsieht, dass er nichts kann. Der Clown will gesittet und kultiviert erscheinen, stolpert aber überall und versaut alles, was man eigentlich gar nicht versauen kann. Der Clown nimmt alles wortwörtlich. Sagt man ihm, er solle Eier schlagen, fängt er mit dem Ei eine Prügelei an. Wenn man ihm sagt, für Romeo und Julia braucht man einen Balkon, wird er sich ausschließlich mit dem Balkon beschäftigen, und wenn man ihm sagt, dass man für ein Drama einen Konflikt braucht, wird er eine halbe Stunde nur streiten, weil er immer alles aufrichtig ausprobiert, aber in Wirklichkeit nichts kapiert. Alles was der Clown tut, macht er mit der Naivität eines Kindes und macht ohne böse Absicht immer genau das, was er nicht tun soll. Meist ist sein Handeln auf die Befriedigung einfacher Bedürfnisse gerichtet. Er hat eigentlich immer Hunger und tut alles um Anerkennung und Beifall zu ernten.
Der Clown beabsichtigt nicht wirklich komisch zu sein, ihm passiert es einfach. Das unterscheidet ihn vom Narren, Komiker und Comédian.


Clowneske Übungen
Man kann den Clown nicht als Rolle spielen, aber sich seine elementaren Prinzipien zu eigen machen. Es ist auch nicht zwingend notwendig Clowntheater zu praktizieren. Aber clowneskes Spiel kann auch bei der Erarbeitung von Tragödien dazu beitragen, noch tiefer in tragische Situationen vorzudringen. Im Folgenden einige praktische Übungen, die helfen können die „Clownsenergie“ für die eigene Theaterarbeit zu nutzen:
- Spieler A geht in seinem privaten Gang durch den Raum. Die anderen Spieler beobachten ihn und suchen eine Besonderheit in seinem Gang z.B. Kopfwackeln, Armschlenkern u.a.. Dann laufen die Beobachter hinter dem Spieler her und überhöhen diese Besonderheit. Spieler A überhöht nun seine eigenen Kopien.
- Spieler A kommt wie gewöhnlich nach Haus und entdeckt nach einer Weile, dass ihm hunderte Zuschauer zusehen. Spieler A darf nun weder von der Bühne, noch irgendetwas vorspielen.
- Drei Clowns kommen mit einer Blume nebeneinander auf die Bühne und zeigen diese dem Publikum. Es darf nicht geredet werden, ansonsten ist alles erlaubt.
- Zwei Clowns prügeln sich (ohne Berührung). Die Übung besteht darin den entsprechenden Impulsen nachzugehen wenn man getroffen wurde (vielleicht mit Rolle rückwärts), und seine Wut, Schläge und sonstiges mit lautstarken Tönen zu untermalen (eine wunderbare Erwärmungsübung).

Wer sich nun ernsthafter für Clownerie interessiert, den rate ich einen Workshop zu machen. Besonders zu empfehlen sind die Institute TUT Hannover, Tamala-Akademie Konstanz, Figurentheater-Kolleg in Bochum und die Schule für Clowns in Mainz.


Literatur:
Werner Müller: Spielmann, Clown, Theatermacher; Verlag Pfeiffer/Wewel München
Constantin von Barloewen: Clown - Zur Phänomenologie des Stolperns; Ullstein Sachbuch
Annette Fried, Joachim Keller: Faszination Clown; Patmos-Verlag
Johannes Galli: Der Clown als Heiler; Galli-Verlag
Jacqes Lecoq: Der poetische Körper - Eine Lehre vom Theaterschaffen; Alexander Verlag
Dario Fo: Kleines Handbuch des Schauspielers, Verlag der Autoren

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